Es ist immer das Gleiche. Wenn ich mich mit meinen Freundinnen Petra und Steffi treffe, gibt es momentan nur ein Thema: die Wechseljahre und die diversen Leiden, die mit ihnen verbunden sind. Wir sitzen in einem Café in der Innenstadt und genießen unseren Kaffee (wobei sich Petra für einen Pfefferminztee entschieden hat, weil sie Kaffee nicht mehr verträgt). Um ehrlich zu sein, nimmt wahrscheinlich keine von uns so richtig wahr, was sie gerade zu sich nimmt. Uns beschäftigen wichtigere Themen: „Ich vertrage überhaupt keinen Rotwein mehr. Schon nach einem Glas geht es mir nicht gut.“ „Ich schlafe keine Nacht mehr durch, ich wache mindestens fünf Mal schweißgebadet auf.“ „Ich bin so schlecht drauf, ich streite jeden Tag mit meinem Mann.“…
Fast eine Stunde lang überbieten wir uns gegenseitig mit unseren diversen Leiden. Plötzlich lehnt sich Petra zurück, schüttelt nachdenklich den Kopf und sagt den entscheidenden Satz: „Das ist ja schrecklich. Ich kann mich selbst nicht mehr jammern hören.“ Wir schauen uns kurz betroffen an, bevor wir alle drei in ein befreiendes Lachen ausbrechen. Das Lachen tut gut. Es unterbricht unsere negativen Gedankengänge und führt innerhalb von wenigen Sekunden dazu, dass wir uns alle besser fühlen. Plötzlich können wir darüber lachen, dass Petra keinen Kaffee mehr verträgt. Und sie erzählt uns, dass ihr der Kräutertee eigentlich ganz gut tut und sie so wenigstens kein Sodbrennen kriegt (worunter sie nach zu hohem Kaffeekonsum auch schon vor den Wechseljahren häufig gelitten hatte).
Placebo oder Nocebo?
Und das ist der entscheidende Punkt: Es kommt immer darauf an, welchen Blickwinkel man einnimmt und mit welcher Einstellung man etwas angeht. In der Medizin gibt es dafür zwei wunderbare Begriffe: Placebo- und Nocebo-Effekt. Den Placebo-Effekt kennt wahrscheinlich jeder. Der Placebo-Effekt (von lateinisch placebo – ich werde gefallen) beschreibt, dass ein Medikament bei einem Patienten wirkt, obwohl es keinen Wirkstoff enthält. Die Wirkung beruht lediglich darauf, dass der Patient diese erwartet. Und es kommt noch verrückter: Selbst Patienten, die wissen, dass sie ein wirkstofffreies Medikament erhalten, können von diesem profitieren. Allein durch die positive Haltung zu dem entsprechenden Placebo reagiert unsere Psyche entsprechend und sorgt dafür, dass es uns besser geht.
Der Nocebo-Effekt (von lateinisch nocebo – ich werde schaden) beschreibt in der Medizin genau das Gegenteil: Er beschreibt, dass Patienten nach der Einnahme eines Medikaments negative gesundheitliche Auswirkungen haben, obwohl kein kausaler Zusammenhang mit der Einnahme des Medikaments hergestellt werden kann. Die Wirkung beruht lediglich darauf, dass die Patienten eine negative Wirkung erwarten. Dieser Effekt ist zum ersten Mal beobachtet worden, als im Rahmen einer Arzneimittelstudie bei Patienten negative gesundheitliche Auswirkungen festgestellt wurden, obwohl sie ein Placebo erhalten hatten. Und diese Effekte wurden nicht nur bei Medikamenten beobachtet. Ähnliche positive oder negative Auswirkungen allein aufgrund unserer Erwartungshaltung gibt es beispielsweise auch, wenn Ärzte Fehldiagnosen treffen.
Die selbsterfüllende Prophezeiung der Wechseljahre
Diese Erkenntnisse lassen sich auf viele Lebensbereiche übertragen. Häufig spricht man in diesem Zusammenhang auch von einer selbsterfüllenden Prophezeiung (self-fulfilling prophecy). Wenn man sich nun anschaut, welche Stellung die Wechseljahre in unserer Gesellschaft haben und wie negativ wir uns in unserer kleinen Café-Runde über diese unterhalten, lässt das nichts Gutes erwarten. Immer noch sind die Wechseljahre ein Tabu-Thema. Und wenn sie dann mal thematisiert werden, werden sie meistens wie eine Krankheit behandelt. Die Aufzählung der möglichen negativen Auswirkungen und Symptome scheint schier endlos. Im Vordergrund steht unser kompletter körperlicher Zerfall (trockene Haut, Faltenbildung, Haarausfall, Gewichtszunahme, Bartwuchs …) und Symptome, die quasi alle Bereiche unserer Gesundheit betreffen (Hitzewallungen, Herzrasen, Osteoporose, schlechte Laune, Depressionen …).
Da möchte man gar nicht wissen, was der Nocebo-Effekt bei uns Frauen auslöst. Dabei möchte ich die Wechseljahrebeschwerden auf keine Fall klein reden oder so tun, als gäbe es diese nicht. Lange genug habe ich selbst heftig unter nächtlichen Hitzewallungen mit Herzrasen gelitten, und das war alles andere als ein Spaß. Aber vielleicht ist es an der Zeit, dass wir eine andere Einstellung zum Thema Wechseljahre einnehmen und versuchen, die positiven Seiten dieser herausfordernden Zeit zu sehen. Herausforderungen sind ja schließlich immer dazu da, dass wir sie annehmen, an ihnen wachsen und am Ende hoffentlich gestärkt aus ihnen hervorgehen. Zumindest ist das die positive Herangehensweise, wenn sich uns Hindernisse in den Weg stellen.
Die guten Seiten der Wechseljahre
Viele werden sich jetzt vielleicht fragen, was denn um Gottes Willen gut an den Wechseljahren sein soll. Wie wäre es denn damit: Wir sind in der Mitte unseres Lebens angelangt, haben einiges erreicht, unsere Kinder (sofern vorhanden) brauchen uns nicht mehr rund um die Uhr, und wir haben noch genug Lebenszeit vor uns, dass es sich lohnt, einiges zu verändern. Vielleicht ist es endlich an der Zeit, dass wir nicht immer nur an andere und deren Bedürfnisse denken, sondern dass wir endlich unsere eigenen in den Mittelpunkt stellen und entsprechend leben.
Nehmen wir beispielsweise meine Freundin Petra, die nachts nicht mehr schlafen kann, wenn sie mehr als eine Tasse Kaffee getrunken hat. Vielleicht wollte ihr Körper ihr damit sagen, dass ihm zu viel Kaffee einfach nicht gut tut und ihm eigentlich auch noch nie gut getan hat. So schläft Petra nicht nur besser, seit sie zu Pfefferminztee gewechselt ist, sie hat auch ihr Sodbrennen in den Griff bekommen. Wenn wir in den Wechseljahren plötzlich keinen Stress mehr vertragen, ist das vielleicht ein willkommener Anlass, endlich kürzer zu treten und uns endlich besser um uns selbst zu kümmern. Möglicherweise ist es jetzt sogar an der Zeit, größere Themen anzugehen. Vielleicht sollten wir uns endlich einen neuen Job suchen? Oder vielleicht sollten wir endlich Beziehungen loslassen, die uns schon lange nicht mehr gut tun?
Die Möglichkeiten sind vielfältig. Ich bin überzeugt: Wenn wir es schaffen, den Wechseljahren mit einer positiven Grundhaltung entgegenzutreten, können es die besten Jahre unseres Lebens werden. Mit dem Schwung des Placebo-Effekts können wir Dinge angehen, die wir schon längst hätten ändern sollen. So können wir Stück für Stück zu derjenigen werden, die wir eigentlich schon immer sein wollten. Und das sind doch glänzende Aussichten!