Die Corona-Krise ist in der zweiten und vielleicht entscheidenden Runde. Der aktuelle Teil-Lockdown zwingt uns erneut, uns in vielerlei Hinsicht einzuschränken. Wieder einmal verbringen wir mehr Zeit zu Hause und mit uns selbst. Viele von uns empfinden diesen zweiten Lockdown als wesentlich schlimmer als den ersten. Vielleicht weil es sich so anfühlt, als wären alle unsere Bemühungen aus dem Frühling umsonst gewesen. Vielleicht auch weil der Winter bevorsteht und das Ende der Krise noch lange nicht in greifbarer Nähe ist. Aber dennoch sollten wir versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Denn jede Krise bietet auch neue Chancen.
Mein Telefon klingelt. Es ist meine Freundin Lara. Noch bevor ich sie begrüßen kann, schreit sie mir voller Begeisterung entgegen: „Ich habe es getan!“ Das klingt spannend, aber ich stehe vollkommen auf dem Schlauch. Auch ein nachgeschobenes „Ich habe es ENDLICH getan! Du hättest mal ihre dummen Gesichter sehen sollen!“ hilft mir nicht wirklich weiter. „Was um Gottes Willen hast du denn getan?“ frage ich daher etwas ratlos. Und dann lässt sie die Bombe platzen: „Ich habe gekündigt!“
Jetzt bin ich wirklich schockiert. Ich weiß zwar schon seit langem, dass meine Freundin in ihrem Beruf unglücklich ist. Sie hat eine ganz typisch weibliche Karriere hinter sich. Überdurchschnittliches Abitur, sehr guter Studienabschluss, Einstieg in ein Unternehmen als hoffnungsvolle Nachwuchskraft mit anschließendem langsamen Aufstieg auf der Karriereleiter bis in eine Führungsposition(der schnelle Aufstieg ist leider meistens immer noch den Männern vorbehalten).
Wenn der Leidensdruck wächst
Dann kamen nacheinander ihre beiden Kinder, und damit begannen die Probleme. Sie durfte zwar nach der Babypause in Teilzeit arbeiten, aber ihr Arbeitgeber erwartete von ihr weiterhin die gleiche Leistung wie in Vollzeit. Das ist häufig das Schicksal von uns Frauen und führt meistens dazu, dass wir uns aufreiben. Wir versuchen, mit weniger Stunden irgendwie die gleiche Leistung zu erbringen wie zuvor und dabei gleichzeitig unsere Familie nicht zu vernachlässigen. Aus eigener Erfahrung weiß ich nur zu gut, dass das nicht lange gut gehen kann.
Über die Jahre hat sich bei Lara viel Frust aufgestaut. Es gab in den letzten Jahren kaum ein Treffen, ohne dass wir von ihrer Firma gesprochen hätten. Ich kenne jeden einzelnen ihrer „narzisstischen Chefs“, jede einzelne ihrer „zickigen Kolleginnen“ und jeden einzelnen ihrer „Karriere-geilen Kollegen“. Zumindest ist das das Bild, das bei mir über die Jahre entstanden ist, auch wenn dieses Bild sicherlich stark subjektiv gefärbt und auch ziemlich klischeebehaftet ist.
In langen Gesprächen haben wir viel darüber geredet, wie Lara ihre berufliche Situation verändern könnte und sind immer wieder bei dem gleichen Punkt gelandet: Eigentlich müsste sie kündigen und etwas ganz Neues anfangen. Denn auch wenn sie vieles an ihrem eigenen Verhalten und ihrer eigenen Einstellung verändern kann, so bleibt es doch immer das gleiche, männlich und hierarchisch geprägte Unternehmen, für das sie arbeitet. Wie das häufig mit „eigentlich“ ist, war an dieser Stelle der gewünschte Veränderungsprozess dann zu Ende, und es änderte sich – nichts.
Veränderungen brauchen Mut
Und nun das. Sie hat einfach gekündigt! Ich fasse es kaum, damit habe ich nun wirklich nicht mehr gerechnet. Ich freue mich riesig für meine Freundin und bin auch ziemlich stolz auf sie. Schließlich ist das ein riesengroßer Schritt. Und es erfordert jede Menge Mut, diesen dann letztendlich auch wirklich zu gehen. Und das umso mehr, da meine Freundin – wie sie mir jetzt erzählt – noch gar nicht so genau weiß, wie es jetzt für sie weitergeht. „Ich musste es einfach tun. So konnte es nicht weiter gehen. Schließlich habe ich nur dieses eine Leben.“
Dieser mutige Schritt hat sicherlich viel damit zu tun, dass Lara in der Mitte ihres Lebens steht. Wir „Um-die-50-Jährigen“ spüren doch ganz genau, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist und dass wir nicht mehr unendlich viel Zeit haben, das zu tun, was wir wirklich tun wollen. Und gleichzeitig steht wir mitten im Leben und haben in den letzten 50 Jahren gelernt, was uns wirklich wichtig ist und was nicht. Viele Dinge – wie zum Beispiel unsere Karriere – spielen plötzlich überhaupt keine Rolle mehr. Wir wollen jetzt unbedingt etwas Sinnvolles tun. Wir sehnen uns regelrecht nach Sinnhaftigkeit in unserem Leben.
Häufig ist das noch damit verbunden, dass unsere Kinder plötzlich so groß geworden sind, dass sie uns nicht mehr brauchen. Sich um seine Lieben zu kümmern, dafür zu sorgen, dass alle in der Familie immer genügend zu essen und zum Anziehen haben und die Kinder zu glücklichen und anständigen Menschen heranwachsen, ist für viele Frauen jahrelang eine sinnvolle und auch erfüllende Tätigkeit. Und plötzlich gehen die lieben Kleinen ihren eigenen Weg und hinterlassen uns eine große Leere, die es erst einmal zu füllen gilt.
Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger
Lara ist nicht meine einzige Freundin, die momentan eine große Veränderung angeht. Petra hat sich gerade – nach 23 Jahre Ehe – von ihrem Mann getrennt. Und Elke macht eine Weiterbildung zum Aufräumcoach und will sich anschließend selbstständig machen. Was um alles in der Welt ist in den letzten Monaten passiert, dass jetzt plötzlich scheinbar alle Um-die-50-Jährigen ihr Leben komplett umkrempeln?
Wahrscheinlich war es die Corona-Krise, die bei meinen Freundinnen so viel in Bewegung gebracht hat. Krisen sind ja immer gut dafür, Veränderungen zu begünstigen oder manchmal auch zu erzwingen. Sie bringen uns oft an einen Punkt, der es unvermeidlich macht, endlich die notwendigen Schritte zu gehen und endlich etwas zu verändern, das uns schon lange stört oder belastet. So kann es durchaus sein, dass eine große Krise unsere kleine Lebenskrise quasi befeuert und dazu führt, dass wir endlich etwas verändern.
Nehmen wir zum Beispiel meine Freundin Petra. Seit Jahren redet sie darüber, dass sie mit ihrem Mann nicht mehr glücklich ist. Dass sie nur noch wegen der Kinder mit ihm zusammen ist. Schließlich waren die Kinder dann plötzlich vor zwei Jahren aus dem Haus. Petra ist trotzdem geblieben. Aber dann kam die Corona-Krise. Zwei Monate gemeinsam mit dem Ehemann im Homeoffice haben dann schließlich dazu geführt, dass sie den längst überfälligen Schritt geschafft hat. Und so schwierig die erste Zeit auch für sie war, jetzt geht es ihr besser, und sie gestaltet mit großem Elan ihr Leben komplett neu.
Die Wechseljahre zwingen uns zu Veränderungen
Die Corona-Krise hat dazu geführt, dass wir viel Zeit mit uns selbst und unseren Problemen hatten. Und wir konnten uns weder durch Partys noch durch Kino- oder Restaurantbesuche von diesen ablenken. Das löst meistens im ersten Schritt eine weitere, noch größere und sehr persönliche Krise aus. Aber das bietet dann auch die einmalige Chance, längst überfällige Entscheidungen zu treffen und endlich die Dinge in unserem Leben zu verändern, derer wir längst überdrüssig sind.
Und sind wir Um-die-50-Jährigen nicht geradezu prädestiniert dafür, das Steuer herumzuwerfen und unser Leben neu zu gestalten? Haben wir durch die Wechseljahre in den letzten Jahren nicht erlebt, dass nichts mehr so ist, wie es mal war? Hatten wir nicht auch schon vor der Corona-Krise genügend Einschränkungen hinzunehmen, die uns eindrücklich gezeigt hatten, dass wir etwas verändern müssen? Mit Einschränkungen meine ich beispielsweise, dass wir in Stresssituationen nicht mehr so belastbar sind wie früher, dass wir durch den permanenten Schlafmangel launischer und empfindlicher sind und dass wir im übrigen auch leider keinen Rotwein mehr vertragen.
All das führt uns Um-die-50-Jährigen jeden Tag vor Augen, dass wir nicht so weitermachen können wie zuvor. Und viele von uns wollen das auch nicht mehr. Wir können natürlich jetzt einfach jammern und lamentieren und ignorieren, dass unser Leben geradezu nach Veränderungen schreit. Aber tief in unserem Inneren wissen wir, dass uns das nicht gut tun wird. Es wird uns unzufriedener und unglücklicher machen, und das haben wir Um-die-50-Jährigen nun endgültig satt. Die Corona-Krise wirkte da wie ein Brennglas oder bei manchen sogar wie ein Brandbeschleuniger.
Unsere Zeit ist kostbar
Wir sollten die Corona-Krise und unsere ganz persönlichen Krisen, die wir Um-die-50-Jährigen bewältigen müssen, als Herausforderung dankbar annehmen – auch wenn das alles andere als einfach ist. Denn unsere Zeit ist kostbar und sie ist endlich. Und wir sind es einfach wert, so zu leben wie wir leben wollen. Wir sind es einfach wert, unsere zweite Lebenshälfte glücklich und zufrieden zu verbringen. Es wird höchste Zeit, dass wir unser Leben in die Hand nehmen und endlich zu derjenigen werden, die wir schon immer sein wollten!
Meine Freundin Lara erzählt mir noch ausführlich, was sie jetzt in den nächsten Wochen und Monaten vor hat (erst einmal nichts!). Und dabei betont sie ungefähr 20 Mal, wie glücklich sie über diesen Schritt ist, den sie gerade gemacht hat. Schließlich verabschieden wir uns, und ich lege lächelnd mein Handy beiseite. Aber plötzlich sehe ich eine Nachricht meiner Schwägerin auf meinem Display. Es ist ein Foto von einem super süßen Hundebaby. Damit will sie mir sagen, dass sie sich nun endlich den Hund zugelegt hat, von dem sie schon immer geträumt hat. Also noch eine, die Nägel mit Köpfen macht. Wir Um-die-50-Jährigen gehen eben unseren Weg – und sind immer für eine Überraschung gut.
Sehr treffend formuliert. Mega, liebe Eva!
Vielen Dank für dein liebes Feedback! Da freue ich mich sehr darüber!
Herzliche Grüße, Eva
Ein zum Nachdenken anregender Artikel, in dem ich mich entdecke. Sehr gut geschrieben, liebe Eva.
Vielen Dank, liebe Daniela!
Herzliche Grüße, Eva
Genau so. Ein toller und ehrlicher Beitrag. LG
Herzlichen Dank, liebe Nicola!
Viele Grüße, Eva
Super Artikel in dem ich mich wiederfinde liebe Eva. ?
Vielen Dank, das freut mich sehr!
Liebe Grüße, Eva