Als Stella vor ein paar Wochen plötzlich mit einem schicken roten Fächer aus Spitze beim Abendessen saß, dachte ich zunächst, sie will mich ärgern. Aber weshalb? Dann vermutete ich eine Übung für einen Karnevalsball mit Maskenpflicht. Allerdings war der Zeitpunkt wenig passend, außerdem ging mir durch den Kopf, dass sie eigentlich keinerlei Hang zur Maskerade hegte. Bälle hasste sie gar.
Hatte sich da etwas an ihrer Einstellung verändert? Hatte ich da etwas verpasst? Immerhin, im Wechsel kann man nie sicher sein.
Schließlich fragte ich sie.
Ich hab mich schon gewundert, dass du nichts sagst, meinte sie. Aber du kannst beruhigt sein. Nix Maske à la Carmen, nix plötzliche Sehnsucht nach Ball. Es ist einfach die Hitze.
Aha, sagte ich und stand auf der Leitung.
Ja, meinte sie, der Tipp kam von Leonie. Sie trägt seit Wochen wo sie geht und steht einen Fächer bei sich. Und seitdem hat sie nicht mehr solche Probleme.
Wenn wieder eine Welle kommt – Fächer raus und los.
Ich war ein kleines bisschen verwirrt.
Wo sie geht und steht?
Ja. Da waren wir doch im Theater, klärte Stella mich auf. ‚Maria Stuart‘. Und mitten im dritten Akt, gerade als die königlichen Zicken auf der Bühne sich begegnen, zückt Leonie ihr Gerät und beginnt zu wedeln, wedelt so heftig, dass die Zuschauer vor ihr, vom Windzug erfasst, sich vorwurfsvollen Blickes umdrehen und sie mahnend-strafend ansehen. Stella wurde leicht kokett. Mir war das ehrlich gesagt ein bisschen peinlich. Mitten in dieser spannenden Szene. Doch Leonie ließ sich einfach nicht stören. Und dann, mit der Zeit, beruhigten sich die Blicker, grinste Stella. Das hat mich überzeugt. Ich besorgte mir so ein Ding. Gibt es jetzt überall. Sie strahlte wie schon lange nicht mehr.
Ich kann dir sagen, sie stieß mir die Faust in die Brust, das Leben hat wieder eine andere Qualität bekommen. Meine Liebste lächelte umwerfend: Du musst einfach den Mut haben und zu deiner Hitze stehen.
Da konnte ich ihr nur beipflichten.
Vor einer Woche dann, wir saßen wieder beim Abendbrot, bewegte Stella den Fächer auffällig – ja, man konnte meinen, geradezu demonstrativ, mit einer mir neuen Eleganz. Allein schon wie sie ihn in die Ausgangsposition fallen ließ, ihn also schlicht öffnete, hatte einen unwiderstehlich schnurrenden Charme. Und sie erwartete offensichtlich eine Nachfrage. Die ich ihr selbstverständlich und postwendend lieferte.
Ich habe mich schlau gemacht, meinte sie voller Stolz. Meine Freundin Joey, du weißt, die Schauspielerin, Joey hat für eine neue Rolle in ‚Figaros Hochzeit‘ ein Coaching in Sachen Fächern bekommen. Und jetzt gibt sie mir Nachhilfe. Support gleichsam. Wie man den Fächer geschickt öffnet. Ihn schließt. Wie man sich verbirgt. Signale sendet. Und ganz gelehrige Schülerin, demonstrierte Stella mir jede erwähnte Stellung.
Und das braucht man alles gegen die Hitze?, fragte ich verunsichert. Ich wollte ja wie immer bei dem Thema Wechsel bloß nix Falsches sagen.
Nö, meinte sie lakonisch. Aber es macht mehr Spaß.
Seitdem sehe ich überall fächernde Frauen. Mit schlichten Exemplaren aus dem Ein-Euro-Laden. Mit güldenen Modellen aus der Edel-Boutique. Mit handgefertigten Einzelstücken unterschiedlichster Technik und Ästhetik.
Letztes Wochenende saßen in einer Weinstube am Nebentisch gleich drei heftig im individuellen Rhythmus wedelnde Damen.
Unlängst tauchte sogar in einer Talkshow, Stella rief mich sofort ganz aufgeregt an, eine ehemalige Grüne im entsprechenden Alter auf und fächerte. Sehr zum Unwillen ihres Nachbarn, solider Konservativer, der sich durch das ständige Gefächere angegriffen fühlte und nur bösartige Bemerkungen für die Mitdiskutantin übrig hatte. Er hielt ihre penetrante Wedelei garantiert für pure pubertäre Provokation.
Haben Sie auch schon in aller Öffentlichkeit fächernde Damen im entsprechenden Alter bemerkt? Sehen Sie – Eingeweihte wissen Bescheid. Und dank Stellas Aufklärungsarbeit habe ich kein mitleidiges Lächeln, kein unverständiges Naserümpfen für die Fraktion der Fächernden übrig. Sondern ich freue mich für sie und mit ihnen, dass sie diese Lösung gefunden haben.
In diesem Sinne – gut Luft! Mögen auch Sie immer eine kalte Brise zur Hand haben!
Herzlich,
Ihr Jörg