Wir Um-die-50-Jährigen kämpfen abwechselnd gegen überschüssige Kilos und plötzlich auftretenden Weltschmerz. Schwer zu sagen, was von beidem mehr weh tut. Haben wir nicht unser Leben lang gelernt, dass wir gut aussehen müssen? Und dass wir dafür so einiges in Kauf nehmen müssen. Selbst der Volksmund legt uns nahe, dass „Schönheit leiden muss.“ Da hat der Volksmund aber seine Rechnung ohne uns erleuchteten Um-die-50-Jährigen gemacht!
Ich stehe vor meinem Schuhschrank. Um mich herum liegen drei verschiedene Paar Schuhe. Mein Mann und ich wollen seit langem mal wieder zu zweit essen gehen. Ohne Kind und ohne Freunde. Einfach nur wir zwei. Ein romantisches Date sozusagen. Wie aufregend! Da will ich mich natürlich hübsch machen. Ich trage ein dunkelblaues Minikleid und suche die passenden Schuhe dafür. Sneakers, Stiefel, Pumps? Warum hat man eigentlich nie das richtige Paar Schuhe im Schrank, auch wenn der noch so voll ist?
Da fällt mein Blick auf ein Paar dunkelbraune Stiefeletten. Die scheinen wie gemacht zu sein für mein dunkelblaues Kleid. Ich ziehe schnell einen der Schuhe an und humple damit zum Spiegel. Triumphierend lächle ich meinem Spiegelbild zu: Sie passen einfach perfekt!
Ein orthopädischer Glücksfall
Aber dann fällt es mir schlagartig wieder ein. Genauer gesagt, ich spüre es schmerzhaft, dass es einen Grund gibt, warum diese wunderschönen Stiefeletten ein einsames Dasein in meinem Schuhschrank fristen. Sie sind einfach unglaublich unbequem. Der Absatz ist viel zu hoch für mich, und außerdem drücken sie vorne an den Zehen. Also ziehe ich diese Folterwerkzeuge schweren Herzens wieder aus und entscheide mich für die bequemen Sneakers.
Früher hätte ich mich für die Stiefeletten entschieden. Gut auszusehen war für mein jüngeres Ich wichtiger als schmerzfrei durch den Abend zu kommen. Ich erinnere mich noch gut an ein Paar hochhackige Sandalen, die ich während meines Studiums, also mit Anfang 20, gekauft habe. Sie waren dunkelgrün, hatten schwindelerregend hohe, wunderschöne Plateauabsätze, und sahen irgendwie unglaublich cool aus. Heute würde man Vintage-Stil dazu sagen. Die Farbe wirkte verwaschen, und der Stoff war an den Rändern leicht ausgefranst. Das Problem war, es war kein Stoff. In Wirklichkeit waren die Schuhe komplett aus Plastik. Die Sohle, der Absatz und der vermeintlich ausgewaschene und ausgefranste Stoff.
Ich war noch nie so richtig gut darin, in hohen Absätzen zu gehen. Aber diese Schuhe waren nicht nur hoch, sie waren auch ein Garant für Schweißfüße. Ein echtes Kunststück, wenn man bedenkt, dass es offene Sandalen waren. Aber getreu dem Motto „Schönheit muss leiden“ habe ich sie tapfer getragen, bis dann der sowieso schon ausgefranste Fake-Stoff gerissen ist (ein orthopädischer Glücksfall!).
Schönheit und Leid
Etwas wehmütig denke ich an mein jüngeres Ich und vor allem an die deutlich cooleren Schuhe, die ich damals getragen habe. Schon als kleines Mädchen hab ich meiner Mutter aufmerksam zugehört, dass hohe Absätze „das Bein strecken“ und man dadurch „größer und schlanker“ wirkt. Und wer will das schließlich nicht? Schönheit muss eben auch immer ein wenig leiden.
Ich ärgere mich über mich selbst, als ich mich bei solchen Gedanken ertappe. Wer hat sich denn eigentlich so etwas ausgedacht? Warum sollte irgendjemand leiden, um schön zu sein? Und kann denn etwas auch nur ansatzweise schön sein, wenn jemand dafür leiden muss? Und was hat man denn davon, schön zu sein, wenn man dafür leiden muss?
Natürlich spricht hier mein reifes, erleuchtetes, um-die-50-jähriges Ich. Anders als mein jüngeres Ich kann sich dieses nicht überwinden, schöne, aber unbequeme Schuhe zu tragen. Auch wenn ich weiß, dass diese perfekt zu meinem Kleid passen würden und die durch die Absätze gewonnenen zusätzlichen Zentimeter sehr zu meinem optischen Vorteil wären.
Nicht um jeden Preis
Aber all die optischen Vorteile sind es mir nicht mehr wert zu leiden. Auch wenn es nur für einen Abend oder ein paar wenige Stunden sein sollte. So haben bereits vor ein paar Jahren alle meine Schuhe mit hohem Absatz ihren Weg in den Altkleidersack gefunden. Alle bis auf dieses wunderschöne Paar dunkelbraune Stiefeletten. In diesen Schuhen steckt eine Sehnsucht, die wahrscheinlich alle Frauen kennen: der Wunsch, gut auszusehen, schön zu sein und zu gefallen.
Und das ist heute wahrscheinlich der größte Unterschied zu meinem jüngeren Ich: Ich will nicht mehr um jeden Preis gefallen. Mit zunehmendem Alter kann ich immer öfter die Freiheit genießen, dass es mir egal ist, was andere von mir denken. Dass ich nicht mehr bereit bin, jeden Preis für Anerkennung zu bezahlen. Besser gesagt, ich will überhaupt keinen Preis mehr dafür bezahlen, dass mich irgendjemand gut findet.
Das klingt jetzt unglaublich abgeklärt. Dass mich keiner falsch versteht: Das bedeutet nicht, dass ich keine Selbstzweifel mehr habe. Und das bedeutet auch nicht, dass ich es immer schaffe, mir keine Gedanken darüber zu machen, ob mich andere gut finden oder nicht. Auch heute schaut Frau Selbstzweifel noch regelmäßig bei mir vorbei. (Ich bin überzeugt, Selbstzweifel muss trotz des männlichen Artikels weiblich sein!) Aber sie kommt nicht mehr so häufig. Und immer öfter kann ich ihr deutlich machen, dass ich sie nicht eingeladen habe und sie damit ganz schnell wieder hinaus komplimentieren.
Die Sache mit der wahren Schönheit
Am schönsten aber ist, dass die Zeiten, in denen sie einfach gar nicht da ist und in denen ich nicht einmal an sie denke, immer länger werden. Weil ich, je älter ich werde, immer besser weiß, was gut für mich ist. Und weil ich mit zunehmendem Alter immer besser weiß, dass echte Schönheit tatsächlich von innen kommt. Kein Kleid, keine Schuhe, keine Make-up dieser Welt machen eine Frau wirklich schön. Zumal diese Hilfsmittel mit zunehmendem Alter immer mehr versagen. Make-up lässt sich nun einmal nicht beliebig dick auftragen und hohe Absätze lassen sich meist irgendwann nicht mehr mit der eigenen Knochengesundheit vereinbaren.
Wir müssen uns nur selbst einmal klar machen, wann wir eine Um-die-50-Jährige so richtig schön finden. Mir kommt als erstes das Wort „Ausstrahlung“ in den Kopf. Eine Frau, die selbstbewusst einen Raum betritt, mit einem Lächeln – vielleicht sogar einem Strahlen – im Gesicht, offen auf andere zugeht und offensichtlich mit sich, ihrem Leben und ihren Mitmenschen zufrieden ist, empfinden wir als schön. Egal wie sie aussieht.
Und das ist der große Vorteil, den wir Um-die-50-Jährigen haben: Wir haben Ausstrahlung. Zumindest deutlich mehr als wir noch vor zehn, 20 oder 30 Jahren hatten. Das heißt nicht, dass wir uns nicht mehr hübsch machen dürfen. Auch eine Frau mit Ausstrahlung sieht in einem schönen Kleid besser aus als in einem alten Sack. Oder andersherum gesagt: Nur wenige Frauen würden sich in einem alten Sack wirklich wohl fühlen und würden somit Gefahr laufen, ihre Ausstrahlung zu verlieren.
Wir müssen nicht mehr…
Aber es gibt viele Dinge, die wir uns selbst nicht mehr antun müssen, wenn wir uns damit nicht wohl fühlen oder sogar quälen. Wir müssen uns nicht mehr schminken, wir müssen uns nicht rasieren, wir müssen nicht unsere Haare färben und wir müssen nicht in hochhackigen Schuhen rumlaufen. Und das Tolle daran ist: Wenn wir zu dem Entschluss kommen, dass uns diese Dinge gut tun, dann dürfen wir es trotzdem tun. Wir haben die Freiheit, diejenige zu sein, die wir auch wirklich sein wollen.
Jede Frau trifft ihre eigenen Entscheidungen. Ich habe mich entschieden, keine hochhackigen Schuhe zu tragen und mich auch nicht zu schminken (Falten hin oder her). Aber ich schaffe es (noch nicht), meine Haare nicht zu färben. Und ich bewundere meine Freundin Uta, die vor ein paar Jahren entschieden hat, ihre Haare nicht mehr zu färben und seitdem mit grauen, fast weißen Haaren herumläuft. Und da meine Freundin einfach eine tolle Frau ist, die weiß was sie will, sieht sie auch mit grauen Haaren unglaublich attraktiv aus.
…aber wir dürfen!
Vielleicht höre ich eines Tages auch auf, meine Haare zu färben. Im Moment ist das für mich noch undenkbar. Die Zeit wird es zeigen. Aber ich genieße es, die Freiheit zu haben, dies ganz alleine für mich zu entscheiden. Ohne dass mich irgendjemand oder irgendetwas von außen beeinflusst. Ich muss niemandem mehr gefallen, und das macht mich frei.
Ich schaue noch einmal in den Spiegel. Ich gefalle mir, auch ohne hohe Absätze. Ich sehe eine zufriedene und glückliche Frau, die sich einfach auf einen schönen Abend mit ihrem Mann freut. Mein Mann erscheint hinter mir im Spiegel. Er lächelt mich an: „Schön siehst du aus! Wollen wir gehen?“ „Gleich, einen kleinen Moment noch“, gebe ich zurück. Ich habe noch etwas zu erledigen.
Ich nehme die braunen Stiefeletten, verabschiede mich mit einem kleinen Seufzer von ihnen und mit ihnen von meinem jüngeren Ich. Dann stecke ich sie mit einem zufriedenen Lächeln in den Altkleidersack. Mein Mann wartet auf mich im Flur. Ich strahle ihn an: „Es kann losgehen. Ich bin bereit.“
Du schreibst mir aus der Seele, meine Liebe
Vielen Dank, liebe Uta! Das freut mich sehr, wenn dich der Artikel angesprochen hat!
Liebe Eva
Ich finde mich in Deinem Kommentar ebenfalls wieder. Manchmal ziehe ich mich mehrmals um bevor ich zufrieden bin. Der Schrank ist voll und doch passt nichts so richtig. Heute ist es mir wichtiger mich wohlzufühlen, als stundenlang In unbequemen Sachen rumzulaufen.
Ausserdem habe ich festgestellt, dass mein Umfeld mich viel positiver sieht als ich mich selber.
Und an manchen Tagen sage ich mir auch:“ Du bist gut so wie du bist“
Euer Blog hat mir schon oft geholfen. Grosses Lob an Dich und die anderen Autorinnen. Bleib gesund und sei herzlich gegrüsst, Athina
Liebe Athina,
vielen herzlichen Dank für deinen lieben Kommentar. Da freue ich mich wirklich sehr darüber!
Und wie schön, dass du immer häufiger mit dir so zufrieden bist wie du bist. Aber wir Um-die-50-Jährigen sind ja auch einfach wunderbar. 🙂
Ich wünsche dir alles Liebe!
Herzliche Grüße
Eva
http://www.leckervital.com