Bist du an der interessiert?, fragte Stella mit spitzer Zunge und blieb vor einer pompösen Keramikvase stehen. Wie? Ich war irritiert. Was meinst du? Ich möchte mit dir diese Weihnachtsausstellung ansehen, mehr nicht. Du weißt was ich meine. Wenn es ein Mann wäre, ja, oder eine alte Frau – kein Problem. Aber wie die dich angelächelt hat. Dieses … – dieses Hühnchen. Und wie du zurück strahlst. Das finde ich, entschuldige, das kränkt mich.
Ich war ziemlich angefasst. So hatte sie mich noch nie angegangen. Und auch die Öffentlichkeit hielt sie nicht davon ab, das volle Volumen ihrer wohl geschulten Stimme einzusetzen. Ich bin doch nur freundlich, verteidigte ich mich kleinlaut. Nur freundlich!, konterte sie. Und warum laufen wir der Kleinen jetzt schon zum dritten Mal über den Weg? Das war vor einem Jahr.
Früher war das ganz anders. Wir flirteten beide, was das Zeug hielt. Damals, vor Beginn unserer Beziehung. So haben wir uns auch kennengelernt. Sie liebte den Flirt und ich liebte den Flirt. Das Spiel mit der Flamme, die man immer wieder hochköcheln lassen konnte und dann wieder verschwinden, als wäre nichts gewesen. Es machte einfach Spaß, unverbindlich mit dem Feuer zu zaubern. Und wenn das Gegenüber sich auch nicht ganz ungeschickt anstellt, steigt das beiderseitige Vergnügen.
Als wir dann zusammen waren, flirtete Stella heftig weiter. Ich hielt mich anfangs zurück, halb instinktiv, um sie nicht zu verletzen, und ich muss sagen, ja, ein bisschen nervte mich ihre Flirterei. Da kam Unsicherheit bei mir hoch. Es hätte ja offensichtlich jeder andere sein können. Und dann erinnerte mich eine gute alten Schulfreundin daran, wie schön das Flirten sein kann, und ich versuchte es Stella zu gönnen und ergriff selber wieder in die Initiative. Man muss schließlich seinen Marktwert testen, lächelte mich meine gute alte Freundin Gundi an. Und auch wenn das ziemlich ironisch klang, ein bisschen was war sicher dran.
Und so lebten Stella und ich Jahre glücklich weiter und flirteten beide nach allen Seiten, spielerisch und ohne Verpflichtung, und wussten doch beide, wo der Hafen ist, in den wir gehören.
Und jetzt das. Das Kunstgewerbemuseum war voller Leute, vor allem Frauen, viele jüngere auch. Und plötzlich war da ein Problem? Ja, sie war tatsächlich eifersüchtig! Das war also vor einem Jahr. Und von dem Moment an bemühte ich mich sehr, jeden Anschein eines Flirts zu vermeiden. Wobei ich mich fragte, ob es einen Flirt so ganz objektiv überhaupt gibt. Oder ob ein Flirt nur dann existiert, wenn ihn zwei realisieren. Das ist doch sehr subjektiv. Das ist doch das Geheimnis eines Flirts, dass es auch keiner sein könnte. Oder? War da was? Ich war doch nur freundlich! Ich merkte, dass Stella plötzlich misstrauisch geworden war, woraus dieses Unbehagen auch immer entstanden sein mochte – aus der Erzählung einer Freundin, aus einer Fernsehsendung oder aus einem ihrer schlauen Bücher, und die Literatur über den Flirt füllt ja inzwischen Regale, genauso wie die Flirt-Berater und Flirt-Trainer und Flirt-Flüsterer inzwischen aus allen Winkeln sprießen. Oder ganz einfach aus diesem Gefühl der Unsicherheit, das sie während des Wechsels begleitet. Sie schien sich allerdings nicht wirklich zurückzunehmen, so sich eine Gelegenheit zum Flirt bot. Aber ich wollte das nicht thematisieren in dieser sensiblen Zeit. Und litt ein bisschen und begegnete jüngeren Damen eher sachlich-freundlich. Was plötzlich, so hatte ich den Eindruck, ohne Zutun und Wollen meinen Marktwert erhöhte.
Als wir dieses Jahr wieder ins Kunstgewerbemuseum zur Weihnachtsausstellung gingen, blieb Stella plötzlich vor einer pompösen Keramikvase stehen und lächelte. Ein Déjà-vu? Du, sagte sie und hakte sich sehr vertraut bei mir unter. Weißt du: wenn du flirten musst – kein Problem. Ehrlich?, fragte ich reichlich aus der Fassung gebracht. Ehrlich!, bestätigte sie. Großes Indianerehrenwort! Ich konnte das noch nicht ganz fassen. Du meinst, ich weiß, wem ich gehöre? Sie zögerte und rümpfte die Nase. Nein, meinte sie, ich hoffe, du weißt, zu wem du gehörst. Und gab mir einen Kuss und wandte sich flugs dem jungen Keramiker zu, der hinter der Vase stand. Und packte all ihren Charme aus und fragte ihn intensiv über das pompöse Objekt aus, das sie, da war ich ganz sicher, potthässlich fand.
Bleibt mir nur, Ihnen viel Spaß auf dem einen oder anderen Weihnachtsmarkt zu wünschen!
Sie wissen doch, wo Ihr Hafen ist?
Ihr Jörg
Hallo Jörg, ich glaube das was du beschreibst gilt für beide Teile! Denn viele Personen hören einfach auf zu flirten wenn sie denken, dass sie im sicheren Hafen sind. Dann glauben sie, nichts mehr für die Beziehung tun zu müssen. LG Annette 🙂